Psycho-onkologische Sprechstunde
Die psycho-onkologische Sprechstunde ist „ein geschützter Raum für Ängste und Sorgen“ – Interview mit Frau Dr. Caroline Buchmann, Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Ärztliche Psychoonkologin (DKG zertifiziert)
Frau Dr. Buchmann, welche Qualifikationen bringen Sie in Ihre Tätigkeit als Psycho-Onkologin am Brustzentrum Fürstenfeldbruck ein?
Als Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe habe ich über viele Jahre hinweg nicht nur medizinisches Wissen erlangt, sondern auch umfassendes Verständnis entwickelt für die emotionalen und psychischen Belastungen, die eine Krebserkrankung mit sich bringt. Diese Erfahrung hilft mir, die Herausforderungen und Ängste, die mit einer Brustkrebserkrankung einhergehen, besser zu verstehen.
Durch die kombinierte psychotherapeutische Ausbildung und psycho-onkologische Qualifikation bringe ich zur klinischen Sicht zusätzlich den therapeutischen Blick mit ein – für eine ganzheitliche Beratung und Betreuung der Patientinnen.
Zudem habe ich während meiner gynäkologischen Facharztausbildung hier in der Frauenklinik Fürstenfeldbruck gearbeitet und kenne dadurch die Abläufe und Stationen, welche die Patientinnen im Verlauf der Diagnosestellung und der Therapie durchlaufen. Somit kann ich auch konkrete Fragen zu Abläufen beantworten. Ich weiß, wie kräftezehrend die Untersuchungen oder wie belastend das Warten auf Ergebnisse sein können. Viele Patientinnen fühlen sich durch mein Einfühlungsvermögen besser verstanden.
Unter welchen emotionalen Belastungen leiden Brustkrebspatientinnen häufig?
Eine Brustkrebsdiagnose stellt für viele Frauen einen tiefen Einschnitt in ihr Leben dar – plötzlich ist nichts mehr, wie es war. Häufig treten Ängste auf: vor der Behandlung, vor Schmerzen, Nebenwirkungen, dem Fortschreiten der Erkrankung oder einem möglichen Verlust der eigenen Lebensperspektive. Viele Frauen erleben Gefühle von Überforderung, Hilflosigkeit oder Kontrollverlust, aber auch Wut und Ärger spielen eine Rolle. Hinzu kommen Sorgen um die Familie, um Kinder oder um den eigenen beruflichen und sozialen Alltag. Auch das Selbstbild kann durch körperliche Veränderungen – etwa nach einer Brustoperation – beeinträchtigt werden, was sich wiederum auf das Selbstwertgefühl und die Partnerschaft auswirken kann. Viele dieser Belastungen sind verständliche und nachvollziehbare, ja sogar gesunde Reaktionen auf eine existenzielle Bedrohung.
Eine Krebsdiagnose kann aber auch wie ein Brennglas wirken, sodass bereits schwelende psycho-soziale Belastungen plötzlich hoch akut werden. Wir wissen, dass ca. 20 % der Brustkrebspatientinnen an psychischen Belastungsreaktionen bis hin zu depressiven Symptomen leiden und 13 % Angststörungen entwickeln. Auch Substanzmissbrauch, z.B. Alkohol, kann in dieser Situation zum Thema werden.
Die Krebstherapien werden dank der Forschung immer komplexer und besser, weil sie immer gezielter gegen die jeweilige Tumorart gerichtet sind. Daher haben wir es heute auch mit sehr unterschiedlichen Nebenwirkungen und auch stark variierenden Überlebenszeiten zu tun. Daher hat die psycho-onkologische Begleitung in meinen Augen an Wichtigkeit zugenommen und wird glücklicherweise beim Zertifizierungsprozess von Organzentren auch berücksichtigt.
Mit welchen Erwartungen kommen Brustkrebspatientinnen in Ihre Sprechstunde?
Viele Patientinnen kommen mit dem Wunsch, ihre Ängste und Sorgen einmal offen aussprechen zu dürfen – in einem geschützten Raum, ohne beispielsweise Familie oder Freunde belasten zu müssen. Aus Schamgefühl oder Angst, andere damit zu sehr zu belasten, behalten viele Frauen ihre Sorgen lieber für sich. Dabei ist es wichtig, diese Ängste zuzulassen und aussprechen zu dürfen. Es geht nicht primär darum, sofort eine Lösung anzubieten.
Von den Frauen wird häufig auch konkrete Hilfe erfragt, zum Beispiel zum Umgang mit Schlafproblemen oder Ängsten. Manchmal ist es sinnvoll, auch auf Medikamente zurückzugreifen, die in dieser Phase unterstützend sein können.
Wichtig ist es, immer die Individualität jeder Patientin in den Mittelpunkt zu stellen, denn jede der Frauen bringt ihre eigene Herkunfts- und Lebensgeschichte mit. Diese spielen eine wichtige Rolle bei der der Verarbeitung einer Krebsdiagnose. Neben kulturellen Einflüssen ist es auch prägend, wie in der Ursprungsfamilie der Umgang mit Schwäche und Krankheit erlernt wurde.
Häufig höre ich von Patientinnen: „Warum ich?“ Diese Frage kann sehr belastend sein, gerade, wenn Patientinnen eine individuelle Krankheitstheorie haben und sich daraus vielleicht sogar eine Schuldthematik entwickelt. Ein Beispiel: „Ich habe Krebs, weil ich immer zu viel Stress hatte!“ Das hierbei entstehende Schuldgefühl kann zusätzlich belastend sein. Hier kann ich die wissenschaftliche Sichtweise anbieten, nämlich dass es keinen gesicherten Zusammenhang zwischen Krebsentstehung und der Psyche gibt. Die Zeiten der „Krebspersönlichkeiten“ sind zum Glück längst vorbei. Was man aber weiß ist, dass man die Lebensqualität durch psychische Gesundheit sehr wohl positiv beeinflussen kann. Und das können wir uns zunutze machen.
Manchmal erlebe ich, dass Patientinnen zunächst Berührungsängste im Hinblick auf das psycho-onkologische Beratungsangebot haben. Daher suche ich so niederschwellig wie möglich auf Station oder in der Sprechstunde den Kontakt zu den Patientinnen. Im persönlichen Gespräch ergeben sich dann oftmals Versorgungswünsche.
Welche Rolle spielt das familiäre und soziale Umfeld und wie beziehen Sie die persönliche Lebenswelt ihrer Patientinnen in Ihre Unterstützung ein?
Mir ist es wichtig, auch den Angehörigen Gehör zu schenken, denn das familiäre und soziale Umfeld spielt eine große Rolle – im Guten wie im Herausfordernden. Viele Patientinnen schöpfen Kraft aus ihrer Partnerschaft, ihrer Familie oder Freundschaften. Gleichzeitig entstehen dort oft auch Spannungen oder das Gefühl, stark sein zu müssen, um andere nicht zu belasten. Auf der anderen Seite erlebe ich es oft, dass Angehörige lähmende Hilflosigkeit spüren, durch das Gefühl „nichts“ tun zu können. Daraus entwickelt sich oft Aktionismus oder allumsorgende Fürsorge, durch die sich Patientinnen eventuell bevormundet fühlen. In solchen Situationen macht es Sinn, den Partner oder die Partnerin in die Beratung miteinzubeziehen und im gemeinsamen Gespräch die Perspektiven zu beleuchten.
Wenn wir über das familiäre Umfeld sprechen, denke ich besonders an krebserkrankte Mütter und deren Kinder. Diese Konstellation ist in jedem Fall eine große Herausforderung für alle Beteiligten, da Kinder eine Krebserkrankung der Eltern als existenzielle Bedrohung wahrnehmen. Hier berate ich zum Beispiel über altersgerechte Kommunikation mit Kindern, aber auch zum Umgang mit deren seelischer Belastung. Manchmal ist eine Weitervermittlung an altersgerechte Familien- und kindertherapeutische Beratungssprechstunden nötig.
Im Kontext Familie können während der Krebstherapie auch Themen wie „Hilfe annehmen“ oder „Unterstützung zulassen“ Schwierigkeiten bereiten. Gerade wenn Frauen eine selbstbestimmte Lebensweise gewohnt sind, fällt es ihnen schwer, plötzlich im Alltag auf Hilfe angewiesen zu sein, etwa weil der Körper durch eine Chemotherapie geschwächt ist.
In meiner Arbeit ist es mir wichtig, die Lebensrealität jeder Patientin miteinzubeziehen: Wie lebt sie? Wer ist für sie da – oder vielleicht auch nicht? Welche Rollen trägt sie im Alltag? Wie erlebt sie Unterstützung oder auch Überforderung durch ihr Umfeld? Diese Fragen sind zentral, um seelische Belastungen besser zu verstehen und passende Wege im Umgang damit zu finden.
Wie arbeiten Sie mit den weiteren Berufsgruppen, die in die Behandlung und Betreuung einbezogen sind, zusammen?
Meiner Arbeit kommt zugute, dass ich auf ein gutes, abteilungsübergreifendes Netzwerk zugreifen kann. Um die Patientinnen so umfassend wie möglich zu betreuen und effektive Hilfestellungen zu ermöglichen, ist es wichtig, dass wir Hand in Hand arbeiten und möglichst kurze Dienstwege nutzen. Im Rahmen der Beratung bin ich regelmäßig im Austausch mit dem behandelnden Ärzteteam, der Pflege, Sozialberatung sowie bei Bedarf auch anderen Stationen. Außerdem stelle ich Kontakte zu Selbsthilfegruppen her.
Mein Wunsch ist es, das ambulante Angebot für Krebspatientinnen im Landkreis weiter zu stärken: beispielsweise das Sportangebot. Wir wissen von wissenschaftlicher Seite wie wichtig Bewegung für Krebserkrankte ist – nicht nur zur Förderung der Lebensqualität. Bewegung hat einen messbaren Einfluss auf einen positiven Therapieverlauf. Außerdem wäre eine Krebsberatungsstelle in Fürstenfeldbruck wünschenswert, um Krebspatientinnen vor Ort ein optimales psycho-soziales Netzwerk zu bieten.
Welche Methoden nutzen Sie bei der Betreuung und Beratung Ihrer Patientinnen?
In meiner psychotherapeutischen Grundhaltung orientiere ich mich an einem tiefenpsychologisch fundierten Ansatz. Das bedeutet: Ich schaue gemeinsam mit der Patientin nicht ausschließlich auf die aktuelle Belastungssituation, sondern auch auf innere Zusammenhänge, persönliche Muster und unbewusste Dynamiken, die mit der Krankheitsverarbeitung in Verbindung stehen können. Es geht darum, Raum für das zu schaffen, was innerlich in Bewegung geraten ist – für Konflikte und Abwehrmechanismen, aber auch für Ressourcen und Entwicklungspotenzial.
Ich verstehe meine Arbeit nicht als Anleitung, sondern viel mehr als gemeinsame Suche nach individuellen Fähigkeiten und Bewältigungsstrategien, die bereits innerpsychisch angelegt sind. Dabei greife ich auch auf Methoden aus der Verhaltenstherapie, der systemischen Therapie und der klinischen Hypnose zurück.
Es ist wichtig, Transparenz zu schaffen und Kommunikation zu unterstützen sowie Selbstbestimmtheit im therapeutischen Prozess zu fördern und zu erhalten. Auf dieser Grundlage können gemeinsam Strategien entwickelt werden, etwa wie man sich auf ein wichtiges Gespräch mit dem Arzt oder der Ärztin vorbereitet, um bestmöglich informiert zu sein. Vielen Frauen gibt es Halt, jemanden an ihrer Seite zu haben, um das Chaos gemeinsam zu sortieren und der Überforderung aktiv entgegenzuwirken.
Ihre Tätigkeit verlangt viel Empathie. Wie gelingt es Ihnen, Ihre eigene mentale Verfassung in gesunder Balance zu halten?
Die Begegnung mit krebserkrankten Frauen berührt mich oft – ihre Geschichten, ihre Stärke, ihre Sorgen. Umso wichtiger ist es, dass ich auch gut für mich selbst sorge, eigene Grenzen erkenne und diese schütze. Ich habe gelernt, dass ich nur dann wirklich präsent und hilfreich sein kann, wenn ich meine eigenen Kräfte im Blick behalte. Ich nehme die Gefühle der Patientinnen ernst, mache sie jedoch nicht zu meiner eigenen Last. Diese innere Haltung – mitfühlend, aber mit klaren Grenzen – ist für mich der Schlüssel, um empathisch bleiben zu können, ohne selbst aus dem Gleichgewicht zu geraten.
Zudem helfen mir vor allem Sport und Bewegung in der Natur. So habe ich den Laufsport für mich als stabilisierenden Ausgleich entdeckt. Auch der Austausch innerhalb des Teams und regelmäßige Supervision sind wertvolle Ressourcen, um schwierige Situationen gut zu verarbeiten.
Kontakt und Information
Weitere Hilfsangebote
Sozialdienst
Unser hausinterner Sozialdienst informiert und berät Sie über die Möglichkeiten weiterer Hilfeleistungen, bei der Beantragung einer Anschlussheilbehandlung oder bei der Beantragung eines Schwerbehindertenausweises.
Seelsorge
Die Seelsorge in unserem Haus versteht sich als qualifizierte Hilfe zur seelischen Bewältigung einer Krankheit oder Krisensituation. Sie will den Heilungsprozess unterstützen, bzw. helfen, chronisches oder unabänderliches Leid seelisch zu verarbeiten.
Selbsthilfegruppen
Gerne vermitteln wir Ihnen eine für Sie passende Selbsthilfegruppe.